Yoshiaki Kaihatsu - Ein Angestellter der ADF Corporation
catalog “Happo Yoshiaki Kaihatsu”
Museum für Ostasiatische Kunst Staatliche Museen zu Berlin, Germany, 2005

Photo (c) Gianni Plescia


Der entscheidende Beginn von Yoshiaki Kaihatsus Künstlerkarriere war seine Einzelausstellung "Series: No Brain is functioning any longer—Part 1" 1992 in der Galerie Natsuka in Tokyo. Zu dieser Ausstellung gruendete Kaihatsu die Firma "ADF (Art Development Farm)" - eine fiktive Firma, die sich mit Kunst beschäftigt. Kaihatsu hat sich selbst in dieser Firma angestellt. Dieser Schritt ist an sich nicht weiter verwunderlich, schliesslich ist das der Weg des normalen jungen Japaners, der als fleissiger Angestellter zum Dienst geht und dessen Alltag mit blindem Eifer für die Aufgaben der Firma erfüllt ist. Seit dieser Zeit hat Kaihatsu begonnen, auch im Alltag nur noch graue Kleidung zu tragen. Sie suggeriert die ununterbrochene Funktion des Angestellten und seinen bereiten Willen zur Arbeit. Für die erste Ausstellung als Firma ADF installierte er eine rotierende runde Decke im Galerieraum, von der Kopfhörer herabhingen, in denen unaufhörlich der Name der Firma wiederholt wurde und Lärm von fahrenden Zügen zu hören war. Der Besucher konnte sich die Kopfhörer aufsetzen, musste dann aber mit der sich drehenden Decke mitlaufen. Sein Blick auf die an den Wänden platzierten Werbeplakate wurde auf diese Weise ähnlich genau kontrolliert wie bereits die Akustik - eine Situation an der Grenze zur Gehirnwäsche.

Unter gleichem Titel und an gleichem Ort hat Kaihatsu in den folgenden Jahren noch zwei weitere Ausstellungen realisiert. 1993 nahm sich Kaihatsu der seelenruhigen Welt der Kleinkinder an, nach der sich die leidenden Angestellten ("Salaryman") offenbar so sehr zurücksehnen. Vor dem Hauptbahnhof Tokyo stieg er zur Rush-hour, inmitten der grau gekleideten Menschenmengen der Salaryman, in das Kostuem eines über-dimensionalen Babys und stellte so ihr regressives Verlagen szenisch dar. 1994 werden im Ausstellungsraum Schliessfächer mit einem grossformatigen Abbild eines heranwinkenden, graugekleideten Angestellten installiert: Grabstätten der hirngewaschenen, sich selbst verloren gegangenen und auf der Schwelle zum Selbstmord stehenden Salaryman. Seit dieser Zeit ist Kaihatsu, egal ob am öffentlichen Präsentationsort oder im privaten Zuhause, zum vollkommen arbeitssuechtigen Berufstätigen geworden."

Grau ist eine Farbe zwischen Schwarz und Weiss. Es ist ein "Dazwischen" zweier polarer Zustände und gehoert weder zum einen noch zu dem anderen. Die ihr ganzes Arbeitsleben lang als Firmenangestellte ihren Dienst erfüllenden "Salaryman" gehoeren weder zu den "white color" (Büroangestellte in weissen Hemden) noch zu den "blue color" (Arbeiter in blauer Arbeitskleidung). Salaryman tragen zwar weisse Hemden, ihrer Funktion und ihres Einsatzes als Zahnräder des Betriebes nach kann man sie aber auch als "blue color"-Arbeiter verstehen. Aufgrund ihrer unklaren Rolle, aber sicher auch wegen der von ihnen am häufigsten getragenen Anzugsfarbe Grau werden die Salaryman in Japan "gray color" genannt. Und tatsächlich bilden die "gray color" in der japanischen Gesellschaft eine besonders breite Schicht, auf die sich die japanische Wirtschaft stützt. Als Zwischenglieder erledigen sie bereitwillig die ihnen gestellten Aufgaben.

Der in graue Kleidung gesteckte und für Kunst zuständige Kaihatsu richtet seine Aufmerksamkeit auf die im Alltaeglichen unsichtbaren Dinge und arbeitet "blind" daran, diese sichtbar zu machen. Darunter befand sich bislang u.a. Staub, aufgelesen an den verschiedensten Orten (in seinem Atelier, einem leeren Wohnhaus, einer ehemaligen Schule oder der Umgebung eines Atomkraftwerkes), Seiten aus Pornozeitschriften, ehemalige Freundinnen, Erinnerungen an die Existenz von Dingen oder undokumentierbare Begriffe wie "Liebe" und "Dank". Oder auch die in Berlin erhalten gebliebenen Einschusslöcher an den Hausfassaden sowie das von ihm aufgelesene Material Styropor. Sie alle sind Kaihatsus Rohstoff und Material geworden, verwandeln sich in Kunst und erhalten durch seine Arbeit Aussagekraft. Versucht man konkreter auszudruecken, worauf sich Kaihatsus Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Interesse richten, so stösst man auf einen Begriff, dem man bereits als Titel einer seiner Arbeiten begegnet ist: "Vanity". Mit "Vanity" beschreibt Kaihatsu die Dinge, die irgendwann verschwinden, irgendwann sinnlos werden. Wo liegt die Grenze zwischen diesen "Vanities" und den Dingen, die um uns herum deutlich und gewichtig erscheinen? Werden sich letztendlich nicht alle Dinge unserer jetzt existierenden Welt in "Vanities" verwandeln? Das deckt sich mit dem buddhistischen Lehrsatz "Alles ist Ku" (= wörtl. "Leere", gemeint ist eine unqualifizierte Leere, die allen Erscheinungsformen zugrunde liegt). Diese nur auf den ersten Blick scheinbar hoffnungslose und traurige Weltauffassnung lässt der für die Kunst zuständige, fleissige Kaihatsu auf der Bühne der internationalen Kunstwelt fröhlich und prächtig lebendig blühen, waehrend er selbst in seiner unauffaelligen grauen Uniform emsig im Hintergrund arbeitet.


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